Volks stöhnende Knochenschau
eine Videowochenschau im Rahmen der Wiener Festwochen 1980Das Projekt Videowochenschau der Medienwerkstatt Wien (damals Verein Medienzentren) war das erste partizipative Medienprojekt in Österreich, das ein breites Publikum sozusagen "auf der Straße" erreichte. Entscheidend trug dazu der Einsatz eines mobilen Videobusses bei, mit dem auch Vorführungen im ländlichen Umkreis von Wien (auf Hauptplätzen, in Fußgängerzonen, etc.) möglich wurden. Wichtig für die Einschätzung der besonderen Bedeutung dieses Projekts ist die Berücksichtigung der Medienlandschaft, in die es eingebettet war. 1980 gab es in Österreich zwei staatliche Fernsehprogramme ORF 1 und ORF 2, Alternativen in Form von Kabelfernsehen oder Privatsendern waren nicht vorhanden. Die Übermacht des Staatsfernsehens lag vor allem in seiner uneingeschränkten Themenführerschaft. Was nicht ins Fernsehen kam, war medial nicht von Bedeutung, eine Öffentlichkeit für Randgruppen, oppositionelle Meinungen, Spezialthemen, etc., die heute von einem diversifizierten Sende(r)angebot abgedeckt wird, war nicht vorhanden. Diese Bedingungen, die nicht zuletzt auch die Voraussetzung für die Gründung der ersten Videoinitiativen in Österreich Ende der 70er Jahre - unter anderem auch der Medienwerkstatt - waren, machten den Symbolwert Öffentlicher Vorführungen auf Monitoren so bedeutend. Die Zuschauer sahen "im Fernseher" (als der auch Videomonitore empfunden wurden) Beiträge, die inhaltlich wie formal entgegen ihren Sehgewohnheiten funktionierten. Dementsprechend heftig und vielfältig waren auch die Reaktionen vor Ort.
Das gesellschaftspolitische Umfeld des Projekts Videowochenschau lässt sich mit dem Begriff "Alternativbewegung" beschreiben, unter dem sich Anfang der 80er Jahre eine Vielzahl von gesellschaftskritisch aktiven Gruppen, ARGEs, Kollektiven etc. zusammenfassen ließen. Als ideologische Ausläufer der "68-Bewegung" bildeten sie die Anfänge eines zivilen Widerstands gegen die politische und kulturelle Hegemonie der damals herrschenden Industriegesellschaft mit ihrem uneingeschränkten technologischen Fortschrittsglauben und einer auf Massenwirksamkeit orientierten Kulturpolitik. Die gesellschaftspolitische Kraft einzelner dieser Gruppierungen war zumindest in Wien so stark, dass sie in Form der "Festwochen Alternativ" in das Programm der Wiener Festwochen 1980 eingebunden wurden, was von einigen auch als Versuch einer Neutralisierung gewertet wurde. In diesem Rahmen wurde auch das Projekt Volks stöhnende Knochenschau durchführt. Medientheoretisch verankert war dieses Wochenschauprojekt im Konzept "Gegenöffentlichkeit": Informationen von Betroffenen für Betroffene in einem lokalen Kontext. Mit diesem Ansatz sollte das Konzept "Wochenschau" neu definiert werden. Die Produktionsweise folgte einem partizipativen Modell: Die Beteiligten sollten dabei unterstützt werden, Medien selbststtätig einzusetzen, sozusagen medial nicht über sich sprechen lassen, sondern selbst zu sprechen. Langfristiges Ziel war die Entwicklung einer Medienkompetenz "von unten" als Voraussetzung für eine Veränderung der Bedingungen von Sprachmächtigkeit in der damaligen Medienlandschaft. Setzt man dieses Projekt in Bezug zu den heutigen - vor allem im Kunstkontext angesiedelten - emanzipativ/partizipativen Medienprojekten, ein durchaus visionärer Ansatz. Der nachfolgende originale Projektbericht soll die Zielsetzungen und Einschätzungen der Projektgruppe bzw. die organisatorischen und technischen Bedingungen unabhängiger Videoarbeit 1980 dokumentieren (gedreht wurde damals auf tragbaren U-matic Low Band Kassettengeräten mit angeschlossener externer s/w Videokamera und externem Ton, Gesamtgewicht ca.12 kg).
Gerda Lampalzer
Projektgruppe Volks stöhnende Knochenschau:
Ali Aydin, Gerda Lampalzer, Manfred Neuwirth, Alfred Schwarz, Ferdinand Stahl, Andi Stern, Susa Zahraditsch
Original Projektbericht: Volks stöhnende Knochenschau
Mit Beginn der "Wiener Festwochen Alternativ" am 23.Mai 1980 startete der Verein Medienzentren mit seinem Projekt "Wochenschau". Die Zielrichtung dieses Projektes lag darin, verschiedene Initiativgruppen mit dem Medium Video vertraut zu machen und ihnen die Möglichkeit zu geben, über eine offene Abspielstruktur in Wien eine größere Öffentlichkeit zu rreichen. Ab Mitte April 1980 wurden in Zusammenarbeit mit verschiedensten aktiven Gruppen - von AKW-Gegnern Über Frauengruppen bis zur Kritischen Medizin - etwa zehnminütige Videofilme produziert, die ab 23. Mai 1980 an verschiedenen Abspielplätzen gezeigt wurden. Diese Plätze wurden im Hinblick auf die Erreichung möglichst verschiedenartiger Zielgruppen ausgewählt. Sie umfassten das "80er Haus" (das während der Festwochen umbenannte Museum des 20sten Jahrhunderts), den Z-Club, die Budenstraße, die Volkshochschule Margareten und eine mobile Abspielstelle, den Videobus, der hauptsächlich bei den Bezirksfesten und Veranstaltungen der Wiener Festwochen in den Außenbezirken eingesetzt wurde. Der Bus bot die Möglichkeit, bei aktuellen Ereignissen einsatzbereit zu sein und ein Publikum zu erreichen, das nicht in der gängigen Kunst- und Kulturszene integriert war. Damit eröffnete sich für die Arbeit der Medienwerkstatt vornehmlich die Perspektive, an Leute heranzutreten, die nicht die Möglichkeit hatten, ihre Probleme über öffentliche Massenmedien zu vermitteln und zur Diskussion zu stellen. Im Gegensatz zur Kinowochenschau wurde dabei nicht aus aller Welt bunt Zusammengewürfeltes gezeigt, sondern es ging um Themen, die sich auf den lokalen Bereich bezogen. Gestaltet oder mitgestaltet wurden diese Wochenschaubeiträge von Gruppen, die sich für einen bestimmten Bereich engagierten und Video als Medium für ihre Öffentlichkeitsarbeit benutzen wollten.
Verschiedene Einsatzmöglichkeiten
Um ein Thema überhaupt halbwegs gut aufarbeiten zu können, beschränkte sich ein Wochenschaubeitrag auf ein Thema und dauerte zwischen 10 und 20 Minuten. Die Ähnlichkeit zur herkömmlichen Wochenschau ergab sich aus den Vorführmöglichkeiten. Die Videowochenschaubeiträge konnten als Vorprogramme in Kinos eingesetzt und dort zu einem fixen Programmpunkt werden. Dies ist z.B. im Z-Club geschehen, wo im Juni vor jeder Filmvorführung ein Wochenschaubeitrag auf einem Großbildprojektionsschirm gezeigt wurde. Die Zeitbeschrankung auf 10 bis 20 Minuten hatte jedoch noch andere Vorteile für den Einsatz: Bänder konnten als Diskussionsanreißer mit dem Videobus an Öffentlichen Plätzen gespielt werden. Dieser Videobus war mit drei Monitoren und einer Tonanlage ausgestattet. Wurden die Bänder von den Gruppen begleitet, die die Bänder gestaltet hatten, so ergab sich eine Verstärkung der Öffentlichkeitswirkung, wenn zusätzlich auch noch andere Medien wie Infotisch, Flugblätter, Zeitschriften, etc. eingesetzt wurden. Im Museum des 20. Jahrhunderts wurden die Beiträge als Laufbänder im Vorraum gezeigt. Am Reumannplatz und in Meidling gab es zahlreiche Straßenbuden von Initiativgruppen, wo die Bänder abgespielt wurden. Die Volkshochschule Margareten bot einen Großprojektionsschirm, und es wurden noch verschiedenste Plätze bepielt, die von den Gestaltern selbst ausgewählt worden waren, z.B. Jugendzentrum Amerlinghaus, Kindergruppentreff, Gastarbeiterhäuser, Arena.
Zusammenarbeit mit Initiativgruppen
Das Projekt selbst begann bereits Ende März, als sich das Team zusammengefunden hatte. Zuerst waren es fünf, dann sieben Leute. Kontakte wurden hergestellt, das Projekt veröffentlicht (in Bezirkszeitungen, Programmzeitungen, Flugblättern) und zur Mitarbeit aufgefordert. Mit der Produktion wurde dann Mitte April begonnen. Prinzipielle Zielsetzung war es, den Initiativgruppen die Möglichkeit zu geben, ihre Beiträge weitgehendst selbst zu gestalten (Themenwahl, Drehbuch, Aufnahme, Schnitt). Dazu kam noch die Auswahl der Abspielorte zusätzlich zu den fixen Stellen. Am leichtesten gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Gruppen, wo einzelne Mitglieder schon mit Video gearbeitet hatten, so zum Beispiel mit der Homosexuellen Initiative (HOSI) und der Bewegung 5. November (Anti-AKW Gruppe). Für jene, die noch keine Erfahrung mit Video hatten, wurden Workshops gemacht, um Schnitt- und Aufnahmetechniken zu vermitteln. Hier wurden unterschiedliche Erfahrungen gemacht, wie schnell der Umgang mit Video erlernt werden kann. Waren die Leute an der Gestaltung eines Themas interessiert, so wurden die technischen Schwierigkeiten mit dem Gerät stets überwunden, auch wenn einige Pannen auftraten. Es gab aber auch Kontakte zu Gruppen, die an der Gestaltung eines Bandes zwar interessiert waren, die aber nach anfänglicher Begeisterung die dafür erforderliche Arbeitsleistung nicht aufbringen konnten. Dann war eine sehr starke Hilfestellung durch das Redaktionsteam notwendig. Wesentlich für die Qualität des Produktes war die Integrationsfähigkeit der Mitglieder des Redaktionsteams in die jeweilige Gruppe. Zur Zusammenarbeit mit Initiativgruppen kam noch der Bereich hinzu, wo Beiträge von Mitgliedern des Wochenschauteams selbst gestaltet wur- en: Zusammenschnitte von Veranstaltungen der "Festwochen Alternativ", über eine Veranstaltung der Kritischen Medizin, eine Aufzeichnung des Dario Fo Theaters, ein Beitrag über das Klagenfurter KOMMZ und der Beitrag "Frau sein heißt ...". Dabei ging zwar auch öfters die Initiative von den Gruppen aus, die Ausführung musste aber komplett vom Wochenschauteam übernommen werden.
Schwierigkeiten und Perspektiven
Prinzipiell kann man von einem gelungenen Versuch sprechen, lokale Berichterstattung mit möglichst authentischer Information auf Videobasis durchzuführen. Ziel war es, für längere Zeit fixe Abspielstellen für eine lokale Wochenschau zu schaffen und eine bessere Vertriebsstruktur für die Beiträge aufzubauen. Das Team, das ursprünglich aus fünf Leuten bestand, musste auf sieben erweitert werden, da die Technik, die Betreuung der Gruppen, die organisatorische und die journalistische Arbeit bei einigen Bändern einen Aufwand erforderte, der zuerst zu niedrig angesetzt worden war. Die zeitliche Beschränkung auf zweieinhalb Monate brachte aber auch noch andere Probleme mit sich. Es konnten hauptsächlich solche Gruppen aktiviert werden, die bereits klare Vorstellungen über ihre Stoßrichtung hatten. Längeres Einbeziehen in Gruppenprozesse war kaum möglich, die Orientierung auf ein verbreitbares Produkt ließ in diesem kurzen Zeitraum eine intensivere Animationsarbeit mit Video nur in sehr beschränktem Ausmaß zu, z.B. Versuche mit Gastarbeitern und Jugendlichen aus einem Jugendzentrum. Eine Weiterführung in größeren Umfang war vor allem aus Mangel an Geldmitteln nicht möglich. Es gab Überlegungen, eine Mischform einer lokalen Wochenschau zu finden, wobei sowohl das Medium Dia als auch Video verwendet werden sollten. Dia böte dabei die Vorteile der leichten Handhabung und der niedrigen Kosten. Dabei sollten fixe Abspielstellen geschaffen werden, die nicht auf einen ganz genau terminisierten Programmwechsel angewiesen sein sollten. Die gewonnenen Erfahrungen aus dem Pilotprojekt ließen eine Weiterführung einer solchen Wochenschau als sinnvoll erscheinen. Der Erfolg des Projektes Videowochenschau konnten zwar sicher nicht an den Zahlen eines Massenpublikums gemessen werden, sondern eher an dem qualitativen Begriff der Reaktion des Publikums und an den aktiven Reaktionen der Zuseher. Geht man davon aus, so gab es sicher in der Menge noch nie so viele Vorführungen von Videobändern in Wien. Im Zclub allein gab es etwa 2000 Zuseher bei 26 Vorführungen, zusätzlich zu den über 100 Vorführungen auf Straßen, in Lokalen, im Museum, in Jugendzentren und bei verschiedensten Kultureinrichtungen.
aus: Medienwerkstatt-Info Nr. 1 / April 1981
Hrsg. Medienwerkstatt Wien, Redaktion: Gustav Deutsch, Gerda Lampalzer, Manfred Neuwirth, Viktor Riemer
Bänderliste der VOLKS STÖHNENDEN KNOCHENSCHAU:
Ungustl Atom, 16 min.
Gegenüberstellung verschiedenster Meinungen über Atomkraftwerke, dazwischen Szenen und Bilder zum Thema.
Christa erzählt, 12 min.
Eine Prostituierte erzählt von ihrem Leben und von ihren Schwierigkeiten.
Jugendsexualität, 17 min.
Straßeninterviews zum Thema Sexualität.
Punkies, 12 min.
Aufzeichnung eines Punkkonzertes im 20ger Haus mit Interviews.
KOMMZ Klagenfurt, 13 min.
Situation der Jugendlichen und ihres Kommunikationszentrums in Klagenfurt.
WUK Opus 1, 7 min.
Ein selbstverwaltetes Kultur- und Kommunikationszentrum wird gefordert.
Burggarten, 17 min.
Zusammenschnitt der Ereignisse um den Burggarten.
Frau sein heißt ..., 15 min.
Szenen und Bilder aus dem Frauenalltag.
General Motors, 9 min.
Bericht zur Eröffnung eines GM-Zweigwerkes in Aspern.
Bezahlt wird nicht, 10 min.
Szenenausschnitte und Interviews zum StÜck von Dario Fo.
Kevin Coyne, 12 min.
Ausschnitte aus dem Konzert, anschließend Interviews mit Kevin Coyne und Sigi Maron.
Theatergruppe Collage: Kriminalstück mit Ketchup, 10 min.
Theatergruppe Collage: Autoanbetung, 7 min.
Theateraktionen auf der Straße.
Kindergruppe Kenyongasse, 11 min.
Kindergruppe Bruckhaufen,17 min.
Kindergruppe Amerlinghaus, 17 min.
Drei verschiedene Videos über Elterninitiativen, die gemeinsam ihre Kinder in einer Kindergruppe betreuen.
HOSI Bude Reumannplatz, 10 min.
Die Vorfälle um die Budenstraße Reumannplatz während der Wiener Festwochen 1980.
Schwul sein kann schön sein, 11 min.
Interviews, Stellungnahmen, Gespräche zur Lage von Homosexuellen.
HOSI: Coming out - Rudi, 20 min.
Coming out von Rudi.
HOSI: Coming out - Manfred, 19 min.
Coming out von Manfred.
HOSI: Coming out - Hans, 16 min.
Coming out von Hans.