Bilder der flüchtigen Welt
Manfred Neuwirth

Bilder der flüchtigen Welt
Medieninstallation

Drei Bewegt-Bilder - horizontal nebeneinander angeordnet - erzählen in Slowmotion vom Erinnern, vom Widerstand, vom Krieg, von Ritualen, vom flüchtigen Augenblick, vom Glück, von der Leere, vom Tod.
Bilder der flüchtigen Welt ist eine persönliche Montage des Medienkünstlers Manfred Neuwirth in Erinnerung an seinen Großvater, der über 100 Jahre alt wurde.
"Die Frage ist, was passiert mit dir, wenn du bis ganz zuletzt aus deinem Leben, aus der Erinnerung schöpfst, was mir ja auch - jetzt schon - passiert: Ich bemerke, dass ich Kraft aus dem Erinnern gewinne. Wie ist das nun kurz vor dem Tod, wenn sich das Leben gewissermaßen umgedreht hat, wenn man nichts wesentliches Neues mehr erlebt, sich nur noch erinnert? Darin muss etwas Tröstliches, Kräftigendes liegen, sonst käme man als Todkranker nicht noch so weit. Das Erinnern, das Visualisieren von bereits Erlebtem, wird irgendwann zum zentralen Lebenswert. Ich versuche zu ergründen, wie man in sich die für einen selbst wesentlichen, positiv besetzten Bilder wiederfindet." Manfred Neuwirth

 

In "Bilder der flüchtigen Welt" gehe ich von der Erinnerung meines Großvaters aus, eines Mannes, der über 100 Jahre alt geworden ist. Ich habe mich oft gefragt - in der Zeit knapp vor seinem Tod - was bleibt nach so einem langen Leben an Bildern, wo kommt diese letzte Lebenskraft her, wenn der Körper kaum noch kann. Es ist daher ein sehr persönliches Projekt, weil es auch um meine eigene Erinnerung geht. Ausgangspunkt ist ein Gedanke Canettis, in dem es heißt, dass man im Leben Bilder braucht, an denen man sich orientieren kann, die man hervorholen kann, wenn es nötig wird, die einem eine Art Lebensgerüst geben können: Canetti nennt das "Netze", also Bilder, in denen und auf denen sich etwas verfängt.
Ich glaube, dass diese Lebensbilder, die ich suche, vornehmlich aus der Kindheit kommen. Und es geht bei mir nicht nur um Bilder, sondern auch um die Töne zu den Bildern. Das ist in meinen Erinnerungen oft eine Kombination. Es sind dies die Stimmungen, die ich schon im Projekt "magic hour" zu finden, schichtweise aus mir herauszuholen versucht habe. In meiner Arbeit an "Bilder der flüchtigen Welt" sind zusätzlich noch die Eindrücke relevant geworden, die sich mir durch die Medien aufgedrängt haben. Meine Generation ist ja die letzte, die diese Trennung zwischen der "eigenen" und der "medialen" Erinnerung noch kennt. Schon meine Nachfolgegeneration lebt viel mehr in einer medial vermittelten Welt.
In "Bilder der flüchtigen Welt" geht es mir darum, auf diese Gleichwertigkeit der aus mir geschöpften Bilder und der gefundenen, medial vermittelten hinzuweisen. Als Kameramann bin ich ja Bildersammler, wobei mir das viele Material, das ich im Rahmen meiner Reisen drehe, eine Art Hilfsgedächtnis ist. Mich interessiert nun, diesen zunächst speziellen Zustand der Absichtslosigkeit des Bildersammelns in eine filmische Methode zu übertragen, die persönliches Erinnern erst ermöglicht. Das gelingt mir nur, wenn ich den intellektuellen Zugang verweigere. Wenn man dokumentarisch arbeitet, ist man oft stark geleitet von der Theorie und den Möglichkeiten medialer Selbstreflexion. Aber erst als ich das radikal ausgeblendet habe, ist es mir geglückt, Erinnerungsbilder, Stimmungsbilder zu finden, die ich sonst nie gefunden hätte. Die Glücksmomente an solchen Projekten stellen sich dann ein, wenn man eine dieser emotionalen Quellen findet und "zufällig" auch noch die Kamera draufhält. Und auch wenn ich in Japan oder Tibet unterwegs bin - diese Bilder haben dann plötzlich sehr viel mit den Spuren "meiner" Erinnerung, "meines" Gedächtnisses zu tun. Wichtig ist eine Art Verdichtung: das Schönste wäre für mich dann ein Film, der nur aus einem Bild bestünde, in dem sich eine bestimmte Empfindungslage spiegelte.

Ich versuche, mich der Welt mit der Kamera anzunähern, wobei diese in gewisser Weise ein Schutzschild ist, das mich davon entbindet, mich Personen direkt zu nähern. Der Filmemacher als Typ ist ja eher Voyeur als Exhibitionist. Was Wahrheit und Lüge des Blicks betrifft: Kiarostami sagt, im Film reihe man Unwahrheiten aneinander, um zu einer höheren Wahrheit zu gelangen. Meine Utopie ist es, in Bildern so argumentieren zu können wie man es meist mit der Schrift tut - ein Kino, das dem schriftgeprägten intellektuelle Zentrum ein bildhaftes entgegenstellt.
Die Installation "Bilder der flüchtigen Welt" geht genau dahin: Drei Bilder werden zu- und gegeneinander gestellt, um über die Sinnlichkeit eine Denkebene mit anzusprechen. Es geht mir ums Denken in Bildern. Ich betrachte die Installation als eine Art Konzentrationsraum. Die nebeneinander stehenden Bilder kommentieren und überlagern einander im Kopf wie in einer Dreifachbelichtung, wobei die Tonebene beweglich, im Fluss ist. Die Figur meines Großvaters ist der Ausgangspunkt der "Erzählung" und zugleich eine Art Rahmen.
Die Erzählungen meines Großvaters waren sehr sparsam eigentlich, wie ja auch meine, darin hatten wir eine Verständigungsmöglichkeit. Ich will erforschen, was uns verbunden hat, aber auch, was uns getrennt hat: Ich hatte dieses behütete, eigentlich friedliche Leben nun fast ein halbes Jahrhundert lang, er dagegen eines der Armut, des Krieges. Darin bündeln sich einige der zentralen Themen der Arbeit: Krieg, Reisen, Erinnerung. Meine Frage ist, was passiert, wenn man zuletzt nur aus der Erinnerung schöpft, wenn sich das Leben gewissermaßen umgedreht hat, wenn man sich nur noch erinnert? Das Erinnern, das Visualisieren von bereits Erlebtem, wird irgendwann zum zentralen Lebenswert....
In gewisser Weise erfüllt dieses Projekt - konzentriert auf die Ebene Erinnerung & Gedächtnis - die Funktion einer gründlichen Aufarbeitung meines inneren Archivs, mit der ich mich frei machen kann für neue Ansätze und Ideen. Ich versuche zu ergründen, wie man in sich die für einen selbst wesentlichen, positiv besetzten Bilder (wieder)findet. Das hat eine reinigende Funktion.
Manfred Neuwirth