Totenhemd
 
 

Totenhemd

von Eva Brunner-Szabo
 
[…] Das Werk, von dem die Rede ist und das Eva Brunner-Szabo mit "Totenhemd" betitelt hat, lässt sich aus mehreren Perspektiven betrachten. Diese ergeben sich aus seiner Geschichte und den Mitteln, die zu seiner Realisierung eingesetzt worden sind. In aller Kürze und vorweggenommen: Der Anlass war ein so trauriger wie alltäglicher, der Einsatz der medialen Komponenten so überlegt wie subtil, die Bedeutungen, die sich in der Wahrnehmung erschließen, sind so vielfältig wie komplex. Auf einige Aspekte will ich näher eingehen. Der Reihe nach: Im Vorjahr ist die Großmutter der Künstlerin gestorben, ein Mensch, mit dem sie ein inniges Verhältnis verbunden hat. Die Arbeit entstand bald darauf und war im Frühjahr 2007 weit gehend abgeschlossen. Zu Darstellung gelangt ist - neben Mobiliar in der Wohnung der Verstorbenen -: der Körper der Künstlerin, angetan mit Wäsche, die ehemals zur Aussteuer der Großmutter gehört hat und bereits vor einiger Zeit der Enkelin geschenkt worden ist. Mit der Kleidung wird eine Verbindung hergestellt zwischen dem Dasein der Großmutter und der Gegenwart des Modells, das sie trägt - also zwischen beiden als Lebende. Diese Metamorphose erfolgt noch auf einer anderen Ebene. Brunner-Szabo posiert in der Wohnung der Großmutter, sitzt auf der Küchenbank, im Rollstuhl und tritt damit - bildlich - in deren Identität. Gestorben wird in den eigenen vier Wänden, wo die anderen Aufnahmen entstehen: auf dem Boden liegend, erstarrt zur Pose einer toten Frau. Im medialen Tod der Künstlerin ist der reale Tod der Großmutter aufgehoben - aufgehoben in beiden Bedeutungen des Wortes, also: er ist dort enthalten und: er wird außer Kraft gesetzt. Die Unbeweglichkeit des Körpers entspricht dabei nicht nur dem Anschein des Todes sondern deutet auch auf den Schmerz, der die Hinterbliebenen bei der Nachricht über einen Verlust manchmal erstarren lässt. […]
Textauszug: © Timm Starl 2008