Mission Statement
30 Jahre Medienwerkstatt Wien
Anmerkungen zur Zukunft des AUDIOVISUELLEN
von Manfred Neuwirth
Anlässlich des Jubiläums 30 Jahre Medienwerkstatt Wien möchte ich einige persönliche Anmerkungen zur Zukunft des AUDIOVISUELLEN vorstellen.
Ein Medienlabor, ein Künstlerkollektiv, ein Archiv, eine Filmproduktion, ein Veranstaltungszentrum, ein Videoverleih, ein Workshopzentrum wird 30 Jahre alt. Eine Rückschau auf Geleistetes interessiert mich eigentlich wenig. Eine Vorschau basierend auf Erfahrungen, Momentaufnahmen und audiovisuellen Ergebnissen aus der eigenen Geschichte finde ich da schon viel interessanter.
1982 antwortet Michelangelo Antonioni auf die ihm gestellte Frage über die Zukunft des Kinos folgendermaßen: "Tatsächlich müssen wir versuchen, uns anzupassen, an die Erfordernisse des Kinos von morgen. Wir alle wissen, es gibt neue Formen, die Realität darzustellen. Es gibt neue technische Mittel. Ich meine, es gibt das Magnetband, das den Film ersetzen wird, der sich als unzulänglich erwiesen hat für die Erfordernisse des heutigen Kinos. Mit den neuen Technologien wie dem elektronischen System und wer weiß mit weiteren Entdeckungen, wird das Problem der Unterhaltung für immer größere Publikumsmassen gelöst werden. Wir hängen am Film, weil er uns so viele Möglichkeiten gab, das auszudrücken, was wir fühlten und sagen wollten. Aber vermutlich wird mit der Aneignung all der neuen elektronischen Möglichkeiten dieses Gefühl schwinden. Tatsächlich gibt es immer eine Diskrepanz zwischen der Mentalität von heute und der von morgen, die wir noch nicht voraussehen. Es ist sehr schwierig, etwas über die Zukunft des Kinos zu sagen. Mit dem großen Bildschirm und dem hochauflösenden Magnetband haben wir das Kino zuhause und brauchen vermutlich keine Kinosäle mehr. Alle heutigen Strukturen werden verschwinden, das braucht Zeit. Aber wahrscheinlich werden sich all diese Veränderungen vollziehen, und wir werden nichts dagegen tun können. Uns bleibt nur uns anzupassen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht so schwierig sein wird, uns in neue Menschen zu verwandeln, die fähiger sind sich auf alles Neue einzustellen."
Antonionis Ausführungen, die sich im historischen Kontext vor allem auf die rasante Entwicklung im Bereich des Fernsehens beziehen, gelten wohl heute in einem noch viel weiterem Ausmaß, beinhalten aber all die Aspekte, die für mich von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung des AUDIOVISUELLEN sind.
Film - Video - Digitales
Unabhängiges, künstlerisches und politisches Video stand zu Beginn der Arbeit der Medienwerkstatt Wien im Mittelpunkt. Abgrenzung zu herkömmlichen Filmproduktionsformen (Hierarchie, Spezialistentum) waren genauso Zielsetzung wie die Einbeziehung des "Amateurs" in die Videoarbeit. Waren wir ab etwa 1980 mit unseren Videos auf Filmfestivals unterwegs, so wurden unsere Arbeiten sehr oft als Provokation empfunden, zwar inhaltlich in neue Bereiche vordringend aber natürlich als eine Art von Bedrohung für "etabliertes" Filmschaffen.
Zur selben Zeit propagierte Francis Ford Coppola - basierend auf den Erfahrungen mit seiner Wahnsinnsproduktion "Apocalypse Now" - ein Gegenmodell zum Studiokino: das "electronic cinema" sollte als eine Vision gegen die Macht der Produktionsstudios und für ein "unabhängiges" Filmschaffen stehen. Eine Idee, die sich im Spielfilm aber erst mit einem Timewarp von 20 Jahren in die Realität eingearbeitet hat. Speziell im Dokumentarfilmbereich entstanden ab Ende der siebziger Jahre basierend auf der "neuen" Technologie Video innovative Arbeiten, mit der Zeit lösten sich auch die Widersprüche zwischen Film- und Videospezifik auf, dazu kamen auch immer öfters genreübergreifende Arbeitsweisen. Durch "neue" soziale und politische Bewegungen veränderten sich gesellschaftliche Prozesse, die Rolle der Medien selbst wurde immer mehr hinterfragt, Filmemachen wurde - basierend auf historischen Erfahrungen - wieder verstärkt zur politischen Praxis. Ins heutige "digitale" Kino sind all diese Freiheiten und Möglichkeiten eingeschrieben und stehen zur freien Disposition.
Kino - Fernsehen - Netz
Etwa zwanzig Jahre seit der Präsentation der ersten HD-Fernsehsysteme hat es gedauert, bis das Heimkino zur Realität wurde. Ich kann heute zuhause die Medienprodukte in gleicher Qualität sehen wie im Kino. Dazu kommt noch die Verfügbarkeit über viele Kanäle und Netze. Das Stichwort Medienkonvergenz geistert durch viele Artikel. In absehbarer Zeit werden Filme gleichzeitig im Kino, auf DVDs und im Video-on-demand "freigeschaltet" werden. Man kann vielleicht versuchen im Vergleich mit dem Musikbusiness Tendenzen für das AUDIOVISUELLE der Zukunft zu sehen: große ökonomische Umbrüche im etablierten Filmgeschäft, aber auch Chancen für Independent Labels, für Internetplattformen mit Zugang für jedermann - sei es als Produzent, sei es als Konsument. Ich genieße diese Vielfalt, ich kann wunderbar AUDIOVISUELL recherchieren, ich suche und finde Raritäten, ich sitze im Heimkino vor Kunst und Trash, ich spiele in 3-D, ich schaue und höre mir die von mir selbst gedrehten Bilder und Töne an.
Form - Inhalt - Magie
Der Magnum-Fotograf Elliot Erwitt antwortet auf die Frage, was ein gutes Foto ausmacht: Form - Inhalt - Magie. Ich würde diese Antwort - bezogen auf ein gutes, zeitgemäßes AUDIOVISUELLES Produkt - noch um einen Punkt erweitern: die Reflexion über Bilder und Töne. Die neuen Möglichkeiten in der Produktion lösen den Film immer mehr von der fotografischen Realität und geben den Künstlern im digitalen Raum malerische Mittel in die Hand. Neue Erzählweisen werden möglich und durchziehen die großen kommerziellen Produktionen ebenso wie künstlerische und experimentelle Arbeiten. Das AUDIOVISUELLE dringt immer mehr in unsere Lebenserfahrungen ein und wird daher auch immer mehr zur (Selbst)Referenz für die mediale Produktion. Riesige Mengen von Bildern und Tönen liegen für den schnellen Zugriff vor, können analysiert, bearbeitet und kombiniert werden. Der audiovisuellen Künstler steht daher auch unter hohen Anforderungen, sich innerhalb dieser unerschöpflichen Möglichkeiten durch den Bild- und Zeitraum zu navigieren, seine eigene Position zu entwickeln und in das AUDIOVISUELLE umzusetzen.
Aufmerksamkeit - Orientierung - Publikum
Für mich spielen sich in der heutigen Zeit die wirklich dramatischen Umbrüche in den Rezeptionsgewohnheiten und der Aufnahmefähigkeit gegenüber dem AUDIOVISUELLEN ab. Forschungen belegen, dass die Aufmerksamkeitspanne durch den Zeitlauf der Werbeeinschaltungen auf eine Länge von etwa 12 Minuten geprägt ist. Die Schnittrhythmen sind schneller geworden, das Zappen führt zur Konzentration auf Attraktion, komplexere Dramaturgien überfordern viele - vor allem jüngere Zuseher. Sicher verändern auch die interaktiven Möglichkeiten der digitalen Spiele die Rezeptionsgewohnheiten. Anderseits war es noch nie so einfach, selbst AUDIOVISUELL zu gestalten, selbst sein eigenes Video herzustellen und zu verbreiten. Eine wichtige Aufgabe für den Medienkünstler der Zukunft scheint mir daher auch darin zu liegen, mediale Kompetenz zu vermitteln, sich der Auseinandersetzung mit dem Publikum zu stellen und so auch seine Arbeit zu reflektieren.
Zitat Antonioni aus Chambre 666, Wim Wenders, 1982
Stills: Paranormal, Gerda Lampalzer, Manfred Oppermann, 1997 - Homage to Kurt Kren II, Eva Brunner-Szabo, 2001 - Tibet Revisited, Manfred Neuwirth, 2005 - Interstate, Dariusz Kowalski, 2006
von Manfred Neuwirth
Anlässlich des Jubiläums 30 Jahre Medienwerkstatt Wien möchte ich einige persönliche Anmerkungen zur Zukunft des AUDIOVISUELLEN vorstellen.
Ein Medienlabor, ein Künstlerkollektiv, ein Archiv, eine Filmproduktion, ein Veranstaltungszentrum, ein Videoverleih, ein Workshopzentrum wird 30 Jahre alt. Eine Rückschau auf Geleistetes interessiert mich eigentlich wenig. Eine Vorschau basierend auf Erfahrungen, Momentaufnahmen und audiovisuellen Ergebnissen aus der eigenen Geschichte finde ich da schon viel interessanter.
1982 antwortet Michelangelo Antonioni auf die ihm gestellte Frage über die Zukunft des Kinos folgendermaßen: "Tatsächlich müssen wir versuchen, uns anzupassen, an die Erfordernisse des Kinos von morgen. Wir alle wissen, es gibt neue Formen, die Realität darzustellen. Es gibt neue technische Mittel. Ich meine, es gibt das Magnetband, das den Film ersetzen wird, der sich als unzulänglich erwiesen hat für die Erfordernisse des heutigen Kinos. Mit den neuen Technologien wie dem elektronischen System und wer weiß mit weiteren Entdeckungen, wird das Problem der Unterhaltung für immer größere Publikumsmassen gelöst werden. Wir hängen am Film, weil er uns so viele Möglichkeiten gab, das auszudrücken, was wir fühlten und sagen wollten. Aber vermutlich wird mit der Aneignung all der neuen elektronischen Möglichkeiten dieses Gefühl schwinden. Tatsächlich gibt es immer eine Diskrepanz zwischen der Mentalität von heute und der von morgen, die wir noch nicht voraussehen. Es ist sehr schwierig, etwas über die Zukunft des Kinos zu sagen. Mit dem großen Bildschirm und dem hochauflösenden Magnetband haben wir das Kino zuhause und brauchen vermutlich keine Kinosäle mehr. Alle heutigen Strukturen werden verschwinden, das braucht Zeit. Aber wahrscheinlich werden sich all diese Veränderungen vollziehen, und wir werden nichts dagegen tun können. Uns bleibt nur uns anzupassen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht so schwierig sein wird, uns in neue Menschen zu verwandeln, die fähiger sind sich auf alles Neue einzustellen."
Antonionis Ausführungen, die sich im historischen Kontext vor allem auf die rasante Entwicklung im Bereich des Fernsehens beziehen, gelten wohl heute in einem noch viel weiterem Ausmaß, beinhalten aber all die Aspekte, die für mich von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung des AUDIOVISUELLEN sind.
Film - Video - Digitales
Unabhängiges, künstlerisches und politisches Video stand zu Beginn der Arbeit der Medienwerkstatt Wien im Mittelpunkt. Abgrenzung zu herkömmlichen Filmproduktionsformen (Hierarchie, Spezialistentum) waren genauso Zielsetzung wie die Einbeziehung des "Amateurs" in die Videoarbeit. Waren wir ab etwa 1980 mit unseren Videos auf Filmfestivals unterwegs, so wurden unsere Arbeiten sehr oft als Provokation empfunden, zwar inhaltlich in neue Bereiche vordringend aber natürlich als eine Art von Bedrohung für "etabliertes" Filmschaffen.
Zur selben Zeit propagierte Francis Ford Coppola - basierend auf den Erfahrungen mit seiner Wahnsinnsproduktion "Apocalypse Now" - ein Gegenmodell zum Studiokino: das "electronic cinema" sollte als eine Vision gegen die Macht der Produktionsstudios und für ein "unabhängiges" Filmschaffen stehen. Eine Idee, die sich im Spielfilm aber erst mit einem Timewarp von 20 Jahren in die Realität eingearbeitet hat. Speziell im Dokumentarfilmbereich entstanden ab Ende der siebziger Jahre basierend auf der "neuen" Technologie Video innovative Arbeiten, mit der Zeit lösten sich auch die Widersprüche zwischen Film- und Videospezifik auf, dazu kamen auch immer öfters genreübergreifende Arbeitsweisen. Durch "neue" soziale und politische Bewegungen veränderten sich gesellschaftliche Prozesse, die Rolle der Medien selbst wurde immer mehr hinterfragt, Filmemachen wurde - basierend auf historischen Erfahrungen - wieder verstärkt zur politischen Praxis. Ins heutige "digitale" Kino sind all diese Freiheiten und Möglichkeiten eingeschrieben und stehen zur freien Disposition.
Kino - Fernsehen - Netz
Etwa zwanzig Jahre seit der Präsentation der ersten HD-Fernsehsysteme hat es gedauert, bis das Heimkino zur Realität wurde. Ich kann heute zuhause die Medienprodukte in gleicher Qualität sehen wie im Kino. Dazu kommt noch die Verfügbarkeit über viele Kanäle und Netze. Das Stichwort Medienkonvergenz geistert durch viele Artikel. In absehbarer Zeit werden Filme gleichzeitig im Kino, auf DVDs und im Video-on-demand "freigeschaltet" werden. Man kann vielleicht versuchen im Vergleich mit dem Musikbusiness Tendenzen für das AUDIOVISUELLE der Zukunft zu sehen: große ökonomische Umbrüche im etablierten Filmgeschäft, aber auch Chancen für Independent Labels, für Internetplattformen mit Zugang für jedermann - sei es als Produzent, sei es als Konsument. Ich genieße diese Vielfalt, ich kann wunderbar AUDIOVISUELL recherchieren, ich suche und finde Raritäten, ich sitze im Heimkino vor Kunst und Trash, ich spiele in 3-D, ich schaue und höre mir die von mir selbst gedrehten Bilder und Töne an.
Form - Inhalt - Magie
Der Magnum-Fotograf Elliot Erwitt antwortet auf die Frage, was ein gutes Foto ausmacht: Form - Inhalt - Magie. Ich würde diese Antwort - bezogen auf ein gutes, zeitgemäßes AUDIOVISUELLES Produkt - noch um einen Punkt erweitern: die Reflexion über Bilder und Töne. Die neuen Möglichkeiten in der Produktion lösen den Film immer mehr von der fotografischen Realität und geben den Künstlern im digitalen Raum malerische Mittel in die Hand. Neue Erzählweisen werden möglich und durchziehen die großen kommerziellen Produktionen ebenso wie künstlerische und experimentelle Arbeiten. Das AUDIOVISUELLE dringt immer mehr in unsere Lebenserfahrungen ein und wird daher auch immer mehr zur (Selbst)Referenz für die mediale Produktion. Riesige Mengen von Bildern und Tönen liegen für den schnellen Zugriff vor, können analysiert, bearbeitet und kombiniert werden. Der audiovisuellen Künstler steht daher auch unter hohen Anforderungen, sich innerhalb dieser unerschöpflichen Möglichkeiten durch den Bild- und Zeitraum zu navigieren, seine eigene Position zu entwickeln und in das AUDIOVISUELLE umzusetzen.
Aufmerksamkeit - Orientierung - Publikum
Für mich spielen sich in der heutigen Zeit die wirklich dramatischen Umbrüche in den Rezeptionsgewohnheiten und der Aufnahmefähigkeit gegenüber dem AUDIOVISUELLEN ab. Forschungen belegen, dass die Aufmerksamkeitspanne durch den Zeitlauf der Werbeeinschaltungen auf eine Länge von etwa 12 Minuten geprägt ist. Die Schnittrhythmen sind schneller geworden, das Zappen führt zur Konzentration auf Attraktion, komplexere Dramaturgien überfordern viele - vor allem jüngere Zuseher. Sicher verändern auch die interaktiven Möglichkeiten der digitalen Spiele die Rezeptionsgewohnheiten. Anderseits war es noch nie so einfach, selbst AUDIOVISUELL zu gestalten, selbst sein eigenes Video herzustellen und zu verbreiten. Eine wichtige Aufgabe für den Medienkünstler der Zukunft scheint mir daher auch darin zu liegen, mediale Kompetenz zu vermitteln, sich der Auseinandersetzung mit dem Publikum zu stellen und so auch seine Arbeit zu reflektieren.
Zitat Antonioni aus Chambre 666, Wim Wenders, 1982
Stills: Paranormal, Gerda Lampalzer, Manfred Oppermann, 1997 - Homage to Kurt Kren II, Eva Brunner-Szabo, 2001 - Tibet Revisited, Manfred Neuwirth, 2005 - Interstate, Dariusz Kowalski, 2006