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Freedom in the Present Past, Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder, Janina Weißengruber
Freedom in the Present Past, Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder, Janina Weißengruber
Filmstill: Ruins in Reverse, Olena Newkryta
ELASTIC CHRONOLOGIES
mit Olena Newkryta, Simona Obholzer, Marlies Pöschl
und einer Kooperation von Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber
kuratiert von Katharina Swoboda
Ausstellungsgestaltung von Pernille Christensen
Eröffnung
Freitag 08.11.2024, 19:00 Uhr
Ausstellung
08.11. - 22.11.2024, Mo-Fr 17:00 - 20:00 Uhr
Medienwerkstatt Wien, Neubaugasse 40a, 1070 Wien
Filmstill: 1989-1997, Simona Obholzer
Filmbilder stecken in einem strengen Zeitkorsett. Sie werden in einer fixen Folge abgespielt, wodurch bei Zuseher*innen der Eindruck von Bewegung und Geschichte entsteht. So mancher Fernsehfilm scheint wichtige Informationen und Details geradezu überdeutlich zu präsentieren und zu wiederholen, als könnte er der Konzentration des Publikums nicht ganz trauen. Bei der Betrachtung von Fotografie oder Malerei hingegen erschaffen wir uns die Zeitachse selbst. Unser Auge springt frei zwischen bestimmten Punkten und Stellen, schafft sich seine eigenen Wege, die wir kaum bewusst wahrnehmen.
Im Kinoraum wird das Publikum auch physisch der Zeit ausgesetzt. Der Raum wird abgedunkelt, der Körper in einen Sessel gepresst. Unser körperlicher Bewegungsradius verkleinert sich, der Geist wird weich. Das ändert sich durch digitale Medien: Die Steuerelemente an Videorekordern und Online-Plattformen geben uns Zugriff auf die Timeline. Wir können zehn Sekunden nach vorne und hinten springen, einen Clip wiederholen oder in zweifacher Geschwindigkeit abspielen. Als Betrachter*innen nehmen wir die filmische Chronologie selbst in die Hand.
Auch in einer Ausstellung können Besucher*innen die Timeline eigenständig verschieben – nicht durch manuelle Eingriffe in eine Video-Timeline, sondern durchs freie Flanieren im Ausstellungsraum. Die körperliche Präsenz und Bewegung der Besucher*innen lässt eine individuelle Chronologie der Arbeiten entstehen. Jede*r entscheidet über subjektive „In- und Outpoints“ und die gewünschte Betrachtungsdauer. In den gezeigten Filmen geht es genau um diese vielschichtige Beziehung zwischen Bewegung, Kameraführung und Schnitt. In den Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten von Simona Obholzer, Marlies Pöschl, Olena Newkryta, Pille-Riin Jaik, Daniel Hüttler, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber verdichten sich konzeptuelle visuelle Techniken, poetische Bildkompositionen und strategische Kameraführungen.
Die Mitglieder der Golden Pixel Cooperative beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Bewegtbild. Dabei reflektieren ihre Arbeiten immer auch das technologische und kulturelle Medium Film. Ebenso setzt sich die Medienwerkstatt seit den frühen 1980er-Jahren mit Video und technischen Entwicklungen kritisch auseinander. Der Raum bietet daher ein ideales Terrain für dieses Ausstellungsprojekt.
1989–1997 (2K, Farbe, Ton, AT 2024, 7 min)
von Simone Obholzer ist ein künstlerischer Kurzfilm, der ein leerstehendes Schulgebäude im Herkunftsort der Künstlerin dokumentiert. Seit dort 2020 ein neuer Schulcampus errichtet wurde, steht das Gebäude leer. Obholzer, die in ihrer Kindheit die Schule acht Jahre lang besuchte, begibt sich erneut in das Gebäude, dessen leere Räume einst von Schüler*innen, Lehrenden und zahlreichen Konflikten geprägt waren. Sie registriert die institutionelle Schularchitektur und ihre autoritären Codes. Der Film erzählt von den Erfahrungen und Erinnerungen der Schülerin, andererseits von der reflektierten Perspektive der erwachsenen Künstlerin. Damit werden zwei Zeitabschnitte in einem Film verzahnt.
In Der weiße Bereich (16 mm transferiert auf 2K, Farbe, FR/AT 2022, 13 min, Deutsch mit englischen Untertiteln)
nimmt Marlies Pöschl die Betrachter*innen mit auf ihre Reise ins französische Gebirgsmassiv Vercors, zur 76-jährigen Jill Denton. Jill erlebt sich als elektrosensitiv und verzichtet auf moderne Technologien, da diese sie krank machen. Um sich wohlzufühlen, erschafft sie sich jeden Tag aufs Neue eine „zone blanche“ (weißer Bereich) in ihrem Wohn- und Lebensraum. Im Französischen bezeichnet „zone blanche“ ein Funkloch, beziehungsweise einen Bereich ohne elektromagnetische Strahlung. Jill erledigt alltägliche Besorgungen und besucht ihre Freunde in einem 40 Minuten entfernten Dorf. Mitunter sucht sie stundenlang nach Orten, an denen sie keine elektromagnetische Strahlung verspürt. Aus Respekt vor der Sensibilität ihrer Protagonistin arbeitet die Filmemacherin mit einer aufziehbaren 16 mm Beaulieu-Kamera. Die hyperrealistische Tonebene wurde komplett im Studio erschaffen. So spürt der Film den Kraftfeldern in Jills Lebensgeschichte ästhetisch nach und holt eine anachronistisch interpretierte Lebensform in eine von Internet, Smartphones und GPS durchdrungene Gegenwart.
Der experimentelle Film Freedom in the Present Past (2K, AT/EE/HU 2024, 24 min, Deutsch, estnisch, ungarisch mit englischen Untertiteln)
ist ein kollektiver Film von Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber. Die Arbeit porträtiert vier alte Gebäude im ländlichen Raum und ihre heutigen Bewohner*innen – gefilmt wurde in Székesfehérvár (HU), Lümandu (EE, Estland), Waizenkirchen (AT) und Gresten (AT). Wir erleben einen Bauernhof, dessen bewirtschaftbares Land mit Giften kontaminiert ist. Eine Waldscheune mit eingestürztem Dach, die zu einem neuen Lebensraum wird, und ein Familienhaus voller sowjetischer Geschichte und sozialistischer Träume. In einem ehemaligen Familienunternehmen in Waizenkirchen steht mit weißem Stift geschrieben: „Die Zeiten ändern sich. Die Zeiten ändern dich.“ Durch die Geschichten und Erinnerungen der Bewohnerinnen und die assoziativen Verknüpfungen von Gebäuden im „postsozialistischen Raum“ und dem „ehemaligen Westen“ wird ein gemeinsamer Raum eröffnet, der zeigt, was „ländliches Europa“ heute sein könnte.
In Ruins in Reverse (Full HD, Farbe, UA/AT 2020, 25 min, Ukrainisch mit englisch/deutschen Untertiteln)
dokumentiert Olena Newkryta die Zersetzung eines sowjetischen Wohnblocks in der südlichen Ukraine. Aus dem leerstehenden Bau werden seit Jahren Ziegelsteine und andere Baumaterialien entnommen und für persönliche Bauprojekte verwendet. Darin spiegelt sich das Verhältnis zwischen sowjetischen Infrastrukturen, die den Alltag nach wie vor prägen, und den massiven politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen seit den 1990er-Jahren. Newkrytas Filmessay folgt den Spuren privater Biografien und vergangener Ideologien, die in der Ruine eingeschrieben sind. Die Überführung des Baumaterials aus dem sowjetischen System in neue Architekturen zeigt Prozesse der materiellen Aneignung und Wiederverwendung, zwischen bröckelnder Vergangenheit und aktiver Zukunftsgestaltung.
Filmstill: The White Field, Marlies Pöschl