Rote Ohren fetzen durch Asche

ein Film von Angela Hans Scheirl, Dietmar Schipek und Ursula Pürrer 
 
"Eros im ganzen Körper, in Worten, in Gesten, Spannung (Tage und Räume durchmessend), Macht, Liebe, Fetische, Flüssigkeit, Tod. Doch sie behaupten, es gäbe eine 'normale' Sexualität. Tatsächlich! Massenweise lassen sich Frauen und Männer in ein Perversionskonzept pressen".
 
Das Szenario einer Stadt, ausgebrannt, zerstört, dem Verfall preisgegeben. Betonwüsten, Stadtautobahnen, Straßenschluchten. Abbruchhäuser, Schutthalden und verwüstete Fabrikgelände. Unendliche Dunkelheit, Regen und Krieg. "Im Jahre 2700 - das Jahr der Kröten - war Asche eine ausgebrannte Stadt. Zu groß für ihre Seelen, die sich in finsteren Kellerlöchern zusammenrotteten, war sie ein unbändiges, wildes Tier, jederzeit bereit, dem Tod ins Gesicht zu pinkeln und darin standen ihr ihre Bewohner in nichts nach höchst unwahrscheinlich waren die Überlebenschancen eines reinen Herzens …"
 
Verkommen wie die Stadt sind ihre Bewohnerinnen, ohne Gesetz und ohne Moral. Zwischen den Trümmern wuchern die Obsessionen. Ein Kampf um Leben und Liebe, Sex und Gewalt. Rasend fetzt Volley (Ursula Pürrer) durch die nächtliche Stadt, saust in die Tiefe, zischt mit ihren Rollschuhen durch unterirdische Gänge. Wild und besessen geht sie ihrer Lust nach, Stößt ihren Unterleib voller Leidenschaft gegen eine schwere Kiste: "Bitte beweg dich nicht, liebes Möbelstück". Sie stöhnt. Befriedigt zieht sie einige Kabel und Schnüre aus ihren Hosentaschen. Flink arbeiten ihre Hände, schnell ist der Sprengstoff an den Leitungen befestigt, es zischt, die Zündschnur brennt.
 
Gefühle der Wonne überströmen ihr Gesicht. Mit Zufriedenheit verfolgt sie die Detonation, weidet ihren Blick an den lodernden Flammen. "Der Rauch meiner Feuer kann mir nichts anhaben. Das sind meine Gewitterwolken, heiß und staubig. Grau, orange, rot. Mein Lebenselexier und Aphrodisiakum. Es lebe der Feuersturm". Volley liebt es, mit dem Feuer zu spielen, mit dem Risiko. Sie legt Brände. Und nicht nur hier. Höchst unwahrscheinlich sind darum die Überlebenschancen eines "reinen Herzens", eines reinen Herzens wie Spy. Zurückgezogen lebt Spy in ihrer Dachkammer. In weißer Rüschenbluse, einem romantischen Helden nicht unähnlich, sitzt sie spätnachts an ihrem mit Büchern und Papieren übersäten Arbeitstisch und zeichnet. Die dunkle Lockenpracht fällt ihr ins Gesicht. Sie hält inne um nachzudenken, um dem Sturm zu lauschen und den kratzenden Ästen an ihrem Dachgeschoßfenster. Blitze durchzucken die Nacht. "Ich bringe frischen Wind von der Straße. Schwer lasten Staub und Moder auf stämmigen Tischen", wirft M der Comixzeichnerin Spy ins Gesicht. "Blutig ist die Revolution der Liebe. Ein melancholischer Vogel segelt über das Wasser der Grausamkeit. Fühlst du die Nässe in deinen Achseln?" Jäh unterbricht die späte Besucherin die Besinnlichkeit des schöpferischen Abends mit der Nachricht vom Brand der Druckerei. Aber M, Volleys Privatchauffeurin, ist keineswegs bereit, mit Informationen über die Brandstifterin herauszurücken. Als einzigen Anhaltspunkt gibt sie den Namen der Lesbenbar preis, in der Volley allabendlich ihre SIM-Shows inszeniert: "Der Sturmwind im Rücken". Spy schwört Rache. Wütend greift sie zur Pistole und macht sich auf den Weg zu dem Club mit dem eigenartigen Namen. Doch ihre Chancen stehen schlecht. Das Spiel ist längst verloren, noch ehe sie auf Volley trifft. Dunkle Gestalten bewegen sich durch die düstere Gasse. Mit Maschinengewehren und hochgestellten Mantelkragen lehnen die Türsteherinnen am Eingang. Streng kontrollieren sie Gesichter und Mitgliedsausweise; seltsame Zeichen, die allenthalben auftauchen. Lesben sind immer und überall. Auch Nun (Angela Hans Scheirl), ein Monster im blutroten Plastikanzug, wandelt durch die Straßen. Mit unbewegtem Gesicht schreitet sie festen Schrittes voran. Ihr kahler Schädel glänzt im Licht der Straßenlampen, die derben Stiefel durchmessen die Weite der Nacht. Unter ihren Füßen knirscht es. Gleichmütig bückt sie sich zu Boden und verschlingt genüsslich eine Schnecke. Ein Gürteltier, das sie voller Gier ergreift, explodiert und fetzt ihr die Hand ab. Unberührt setzt sie ihren Weg fort. "Diese Gasse … ich wusste, dass sie heute richtig ist. Hier ist es gut. Schulter und Wände verneigen sich voreinander. Ein solcher Winkel ist unverwundbar. Warme Luft streicht meine Nackenhaare, der kühle Wind haucht mir ins Ohr. Das Geräusch unter meinen Fußsohlen macht mich ruhig".
 
Sie ist sich gewiss, hier endlich ihre Sehnsucht stillen zu können. Und das Glück ist ihr hold, als ihr Weg sie durch die finstere Gasse führt und zu ihren Füßen Spy blutend auf der Straße liegt. Sorgsam hebt Nun sie hoch auf ihre Schultern, um sie zu sich nach Hause zu tragen. Wahrlich, die Überlebenschancen eines reinen Herzens sind nicht groß. Musste Spy sich längst schon vor der ersten Begegnung mit der Brandstifterin geschlagen geben, so landet sie nun in Nuns Armen. Inbrünstig legt die nekrophile Nonne ihren Kopf auf die Brust der Bewusstlosen und schlummert ein. Doch Ruhe kehrt in dieser Stadt niemals ein. Ohne innezuhalten bewegen sich die Figuren durch Zeit und Raum. Auf der Suche nach Befriedigung kreuzen sich ihre Wege.
 
"Ich brauche dich. Ich will dich. Anhalten!" Kompromisslos leben sie ihre Leidenschaften aus. Sie sind geil und brutal. Sie ficken und töten. Sie sind auf der Jagd. Wild verfolgen sie ihre Phantasien, ihre Begierden. Sie stoßen Hände und Messer in ihre Körper, Blut fließt. Sie sterben tausend Tode, ihre Seelen verbrennen, ihr Körper glüht, ihr Fleisch vermodert im Straßengraben. Und dennoch sind sie nicht unterzukriegen. Stets tauchen sie wieder auf, das Spiel beginnt aufs neue. In alten Rollen oder neuen Kleidern setzt der Reigen wieder ein. "Wir verbrennen uns die Hände im Kampf um die Sonne". Ihre Lust ergießt sich wie Benzin über die Gegenstände und Körper. Sprengstoff und Sex. "Blutig ist die Revolution der Liebe!" Flammen züngeln empor, breiten sich aus. Mauern stürzen ein, liegen in Schutt und Asche. Ohren glühen. "Den Sturmwind im Herzen". Ihr Verlangen ist unstillbar, die Sehnsucht treibt sie voran. "Ich werde breite Steintreppen hochschreiten und Paläste in Anspruch nehmen, mit meinem Körper die Luft hoher Räume durchschneiden", verkündet Volley. Endlos währen die Nächte. Und doch am Ende: Gleißendes Licht, saftiges Grün, klares Wasser plätschert durch wildromantische Landschaften. Porzellanweiß schimmert Volleys nackter Körper durchs hohe Gras. Barocke Parkanlagen, eine Begegnung, Blicke. Spy klappt Nun, mittlerweile zur Pappfigur erstarrt, wie einen Traum zusammen. Ein Lächeln. Ruhe.
 
Und endlich die Verheißung. "Es gibt einen Ort, wo man seinen Riesenleib betten kann". Stille kehrt ein. Rote Ohren fetzen durch Asche ist der erste abendfüllende Spielfilm von Angela Hans Scheirl, Ursula Pürrer und Dietmar Schipek. Nach zweijähriger mühevoller und einfallsreich improvisierter Filmarbeit gilt der unter finanziell äußerst schwierigen Bedingungen 1991 fertiggestellte Kinofilm bereits als neuer Kultfilm. Neben der Perfektion der Inszenierung, der Vielfalt stilistischer Mittel und der unkonventionellen Produktionsweise ist insbesondere die thematische und ästhetische Radikalität außergewöhnlich. Ursula Pürrer: "Ich bin eine Frau, ich mache Filme mit Frauen für Frauen, ich habe meistens eine lesbische Tendenz drinnen, eine experimentelle Ästhetik, einen anarchistischen Ansatz. Überall Grenzen, und es ist letztlich egal, woran ich arbeite. Ich habe mich einfach daran gewöhnt, dass ich an Grenzen arbeite".
 
Der Wechsel von dynamischen Handkameraaufnahmen, langen, ruhigen Einstellungen und einer exzessiven subjektiven Kamera prägt die Vielfalt des Films ebenso wie der Einsatz von Videobildern, die intensiven Farben, die ausgeklügelte Licht- und Tondramaturgie oder die lyrisch-ironische Sprache. Anarchisch und unberechenbar lassen sie dem Denken und der Schaulust Freiräume offen und regen Assoziationen an. Der filmischen Phantasie sind in Rote Ohren fetzen durch Asche keine Grenzen gesetzt: Trickfilmsequenzen, Modellbauten und Kulissen bilden die Grundlage einer Fiktion, in der abgetrennte Hände über Tische kriechen, Spielzeugautos durch eine Modellstadt fahren, Plastikgürteltiere explodieren oder verspeist werden, Vampirinnen mit ihren Küssen Tote zum Leben erwecken und wahnsinnige Nonnen sich durch Raum und Zeit beamen.
 
Angela Hans Scheirl: "Dass ich vor allem im Genre Horrorflim und Phantastischer Film arbeite, bedeutet, dass ich unbedingt eine neue, eine eigene Welt schaffen will, mich woanders hin denke. Ich überlege mir, was will ich, was will ich sehen, wie will ich Frauen darstellen, Wie leben die? In unseren Film spielen ja fast nur Frauen mit. Mich interessiert, was dann los ist, wenn sich die Frauen nicht mehr auf die ganze Männergesellschaft beziehen müssen". Die offensichtliche Künstlichkeit lässt das Konventionelle in den Hintergrund treten, denn mit der Überschreitung des Realismus schaffen die FilmemacherInnen einen Raum, in dem fern von aller Realität neue Ideen Gestalt annehmen können. Die Stadt Asche, die bereits durch ihren Namen auf die Zerstörung der Strukturen verweist, stellt ein Niemandsland dar, in dem Herrschaft wie Beherrschung längst an Bedeutung verloren haben. Asche ist keine Utopie, vielmehr stellt sie einen Ort dar, in dem die Säulen des Patriarchats eingestürzt sind und in den autonomen Subkulturen konsequente Selbstbestimmung gelebt wird. Zwischen Horror-Film und Comic-strip, Trash-Movie und Underground-Film, Lesbenporno und Phantastischem Film bewegen sich die Akteurinnen außerhalb jeglicher Tradition. Im wahrsten Sinn des Wortes schlagen sie sich durch die Welt des Films und lassen ihren Begierden in aller Radikalität freien Lauf. In Zeiten der Gesetzlosigkeit haben sie sich längst aller Normen entledigt.
 
Unverschämt und unbekümmert nehmen sie für sich neue Rollenbilder und Verhaltensmuster in Anspruch. Denn mit der Entfesselung der Ästhetik treten nicht nur die Normen des klassischen Erzählkinos außer Kraft, auch traditionelle Denk- und Handlungsmuster verlieren an Bedeutung. Keine lineare Erzählung mit eindeutigen Erklärungen setzt den Inhalte Grenzen. Nicht nur, dass das Geschehen durchweg von Frauen/Lesben bestimmt wird, vielmehr kommt ihrem Sein und Handeln eine außergewöhnliche Selbstverständlichkeit zu. Von Anfang an kennen sie weder Zögern noch Zweifel.
 
Ursula Pürrer: "Ich inszeniere Frauen, egal welches Klischee, egal welche Rolle, grundsätzlich mit einer totalen Selbstverständlichkeit. Ich habe natürlich schon meine Vorlieben: surrealistische Figuren, Kämpferinnen, Frauen im Sex, Gewalt, Macht, Täterinnen im allgemeinen. Es sind immer Frauen, die ihre Konzentration auf sich selbst gerichtet haben, die eine Selbstverständlichkeit von ihrer Person, von ihrer Präsenz haben. Dabei ist die Person nur durch sich selber definiert. Sie bekommt eigene Räume und ist wie im Comic durch ihre eigene Ikonographie definiert".
 
Die Auseinandersetzung mit Sexualität und Gewalt bestimmt das künstlerische Schaffen der Filmemacherinnen Angela Hans Scheirl und Ursula Pürrer. Bereits seit Anfang der achtziger Jahre stehen weibliches Begehren und die Lust an Gewalt und Macht im Mittelpunkt ihrer Super-8 Filme. Mit Witz und Ironie verfolgen sie den Bruch mit Traditionen und greifen nicht nur in Das schwarze Herz tropft oder in Kampf und Kuß mit Frechheit diese tabubesetzten Themen auf. Fortgesetzt wird die spielerische Überschreitung klassischer Rollenvorstellungen in dem von Angela Hans Scheirl und Dietmar Schipek produzierten Horrorfilm The Abbotess and the Flying Bone ebenso wie in dem Experimentalvideo The Drift of Juicy von Ursula Pürrer. Angela Hans Scheirl: "Ich mache so verschiedene Filme, aber was mich interessiert, darzustellen oder zu erforschen, ja, es geht eigentlich ums Erforschen, sind Gewalt und Erotik".
 
Anmerkung: Textstellen unter Anführungszeichen sind Zitate aus dem Film. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin