Panoramen, Mini Dramen und andere Pocketfilme.
Ein Bericht aus der filmischen Praxis im Handy Format von Gustav Deutsch.


Auf seinen Reisen die Gustav Deutsch unter anderem für die Recherchen zu seinen Filmen zu Filmarchiven Europas und Amerikas unternahm, entstanden filmische Notationen, die er mit seinem Mobiltelefon oder seiner Taschenkamera aufzeichnete.
[mehr]

Auf seinen Reisen die Gustav Deutsch unter anderem für die Recherchen zu seinen Filmen zu Filmarchiven Europas und Amerikas unternahm, entstanden filmische Notationen, die er mit seinem Mobiltelefon oder seiner Taschenkamera aufzeichnete. Es sind langsame Beobachtungen von Strassenszenen, scheinbar belanglose Geschehnisse, Handlungen von Menschen und Tieren, Abtastungen der fremden Umgebung, Kamerafahrten, die bei genauem Hinsehen jedoch versteckte Geheimnisse offenbaren, und überraschende Querbezüge erkennen lassen. Seine umfangreiche Sammlung hat er in charakteristischer Systematik nach thematischen Kategorien geordnet, die sowohl auf die Frühzeit der Kinematographie, als auch auf das Hobbyfilmschaffen der 50er/60er Jahre Bezug nehmen: Panoramen, Phantom Rides, Mini Dramen, Tierbeobachtungen, gehörten zu der frühesten filmischen Praxis aller Pioniere des Mediums. Gustav Deutsch übernimmt sie für seine filmische Praxis im Handy Format.

Einführung Gustav Deutsch:

Spontane, ungeplante, nicht inzenierte Aufzeichnungen, meist in der Fremde.
Erhöhte Aufmerksamkeit, auch auf das Alltägliche.
Den Scharfsinn des Forschers auf das Alltägliche anwenden.
Allen gemeinsam ist:
Eine einzige Einstellung
Kein Schnitt
Keine Nachbearbeitung
Originalton

Dabei stellten sich einzelne immer wiederkehrende Themen heraus, die sich mit den Themen der Pioniere der Kinematografie, sowie mit der Praxis der Hobbyfilmer und Filmamateure der Mitte des vorigen Jahrhunderts vergleichen lassen.

  1. panorama
    Abtasten der fremden Umgebung, im 360° Schwenk, von links nach rechts, wie aus dem Periskop eines U-Bootes. Nichts und niemand kann die Bewegung stoppen.
    Standortbestimmung.
    Ich im Mittelpunkt der (Um)Welt.

  2. mini drama
    Die inszenierte Wirklichkeit durch Regisseur Zufall.
    Auf- und Abtritt der Protagonistinnen wie auf Zuruf: Action! Cut!
    Hauptdarsteller und Nebendarsteller.
    Das Geschehen definiert Anfang und Ende

  3. phantom ride
    Kamerafahrt nach Unbekannt.
    Die Geschwindigkeit bestimmt die Dramatik.
    Die Landschaft, die Architektur bestimmt das Geschehen.

  4. observation
    Beliebiger Ausschnitt aus dem Lauf der Ereignisse.
    Unbeteiligter Beobachter.
    Das Ende wird durch die vorher festgelegte Aufnahmezeit bestimmt.

  5. bird watch, dog watch
    Die Kamera als chronophotographic shotgun.
    Tierbeobachtung mit den Augen eines Forschers oder Jägers.


Jahresbericht
Die Pocket Diaries von Manfred Oppermann


Auf dem Strand. Wind bläst ihm ins Gesicht, Kälte. Die Augen schweifen umher, er sucht. Kein Blick mehr für den Himmel, das Meer, die Insel. Nur noch der Sand der seine Geheimnisse offenbaren soll. Die Verwirrung stellt sich schnell ein. Er übersieht, geht zurück, entdeckt neu.
[mehr]

Auf dem Strand. Wind bläst ihm ins Gesicht, Kälte. Die Augen schweifen umher, er sucht. Kein Blick mehr für den Himmel, das Meer, die Insel. Nur noch der Sand der seine Geheimnisse offenbaren soll. Die Verwirrung stellt sich schnell ein. Er übersieht, geht zurück, entdeckt neu. Die Augen flimmern. Er sucht nach allem, aber "allem" ist klar umrissen aber die Umrisse sind ihm nicht bekannt. Etwas finden. Durch die eigene Anstrengung beschenkt zu werden. Er schaut auf den Sand, hebt angespültes hoch, Teer, Muscheln. Die verfilzten Polyesterreste, verknotete Netzte, Taue, Seile und Fangleinen. Weit entfernt von den schnuckeligen Seemannsknoten, die dem Besucher auf Postkarten an der Promenade entgegen blinken. Losgeschnitten und gerissen werden diese Verbindungen eines einstigen Sinnzusammenhangs zu Rohmaterial. Das Meer hat ihn gelöscht. Er empfindet sie als unheimlich, es kribbelt ihn. Die Suche strengt an. Der Sand ist zu ähnlich, die Konzentration und Anspannung auf versteckte Details. Keine Muscheln, keine Steine. Er sucht nach etwas was er nicht weiß, Industrieprodukte, Flaschen und Resten von Planen mit Aufdruck (Heringe ohne Kopf), Blechdosen mit Werbung (Hempel`s). Es wird sich zeigen. Finden und Zeigen. Manchmal entdeckt er kleine Plastikfiguren, oder Leuchtstreifen für Priggen, rot und grün. Er versucht ein System in seine Suche zu bringen. Er pendelt mit seinem Blick über den Strand. Er versucht seine Augenmuskulatur zu entspannen. Das zu findende soll möglichst unkontrolliert in ihn eindringen und entweder aufgehoben oder verworfen werden. Die durch Photonen ausgelösten und retinal verarbeiteten Nervenimpulse müssen an anderer Stelle im Gehirn auf etwas Korrespondierendes treffen, etwas das ergänzt wird. Dieses innere Potential scheint eine Art Mangel oder eine Forderung zu sein, die durch ein Äußeres ausgeglichen wird. Elektrische Wünsche. Die äußeren Dinge nehmen die Gestalt der inneren Dinge an, ohne dass er genau sagen kann was die inneren Dinge nun sind. Ein Energieniveau soll durch das Andere aufgehoben oder auf einen Sollwert gebracht werden. Wenn er etwas findet werden Energiepotentiale in Beziehung gesetzt. Es gibt also das Energiepotential für "irgendetwas nicht spezielles" was natürlich ganz genau und speziell und konkret ist. Stellt also das Fundstück nicht bereits den Plastik gewordenen Gedanken dar? Ist das was er findet eine neuronale Verknüpfungen in Abfallform, die jetzt erst bewusst denkbar ist? Finden ist Denken mit Objekten, Gegenständen und Begebenheiten, Materie. Das Gehirn sucht sich Dinge um über sich selbst nachzudenken. Braucht er den Spülsaum des Meeres weil sich darin sein Denken abbildet. Salz und Wasser ein paar Spurenelemente, Ladungsverschiebung. Entsteht so eine Ladungsverschiebung durch Zufall, einige überschüssige Elektronen, verirrt und endlich erlöst durch einen kopflosen Hering.

Seit 10 Jahren betreiben Lehmann-Grube (Hamburg) und Oppermann (Kritzendorf) ein Tagebuchprojekt mit wechselnder Dichte der Einträge. Alles was die Kunst erlaubt ist der Titel, den Rahmen, für beide verbindlich, bilden für jeden Tag ein A4 Blatt, ein abgerissenes Kalenderblatt und die mit einem Gezeitenkalender errechneten Hoch- und Niedrigwasserstände an verschiedenen Orten der Nordseeküste zum jeweiligen Datum.